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2.2.3 Turbopumpstände

2.2.3.1 Auspumpen eines Behälters mit einem Turbopumpstand auf 10-8 hPa

Ein Behälter aus blankem Edelstahl soll in 12 Stunden auf einen Druck von $p_b$ = 10-8 hPa evakuiert werden. Wie aus Kapitel 1.3 hervorgeht, sind neben der reinen Auspumpzeit für die Luft weitere Effekte zu berücksichtigen. Die Desorption von Wasserdampf und adsorbierten Gasen sowie das Ausgasen von Dichtungen verlängern die Auspumpzeit. Die Auspumpzeiten bis zum Erreichen des gewünschten Druckes von 10-8 hPa setzen sich zusammen aus:

$t_1$ = Auspumpzeit der Vorpumpe bis 0,1 hPa

$t_2$ = Auspumpzeit der Turbopumpe bis 10-4 hPa

$t_3$ = Pumpzeit zur Desorption der Edelstahloberfläche

$t_4$ = Pumpzeit zur Ausgasung der FPM-Dichtungen

Der gewünschte Basisdruck $p_b$ setzt sich zusammen aus dem Gleichgewichtsdruck, verursacht durch einströmendes Gas durch Lecks und Permeation $Q_l$ , sowie durch die Gasabgabe von der Metalloberfläche $Q_{des,M}$ und den Dichtungen $Q_{des,K}$:

\[p_b=\frac{Q_l}{S}+\frac{Q_{des,M}(t_3)}{S}+\frac{Q_{des,K}(t_4)}{S} \]

Formel 2-13: Basisdruck eines Vakuumsystems

$p_b$ Basisdruck [Pa]
$Q_l$ Gasstrom durch Lecks und Permeation [Pa m3 s-1]
$Q_{des,M}$ Gasabgabe von der Metalloberfläche [Pa m3 s-1]
$Q_{des,K}$ Gasabgabe von den Dichtungen [Pa m3 s-1]

Der Behälter hat folgende Daten:

$V$ Behältervolumen 0,2 m3
$A$ Behälteroberfläche 1,88 m2
$A_k$ Dichtungsfläche FPM 0,0204 m2
$Q_l$ 1,0 ⋅ 10 -9Pa m3 s-1
$q_{des_M}$ Flächenbezogene Desorptionsrate Edelstahl 2,7 ⋅ 10 -4Pa m3 s-1 m-2
$q_{des_K}$ Flächenbezogene Desorptionsrate FPM 1,2 ⋅ 10 -4Pa m3 s-1 m-2

Die Vorpumpe soll in einer Zeit $t_1$ = 180 s den Behälter auf 0,1 hPa evakuieren und diesen Druck auch bei geöffnetem Gasballastventil erreichen. Das Saugvermögen erhält man nach Formel 2-9:

$S_{Vorpumpe}=\frac{V}{t_1} \cdot \mbox{ln} \frac{p_0}{p_1} = 10,2 l s^-1 = 36,8 h^-1$

Wir wählen eine Duo 35 mit einem Saugvermögen von $Sv$ = 35 m3 h-1.

Die Turbomolekularpumpe sollte etwa das 10- bis 100-fache Saugvermögen der Vorpumpe haben, um die adsorbierten Dämpfe und Gase von der Metalloberfläche abzupumpen. Wir wählen eine HiPace 700 mit einem Saugvermögen$S_{HV}$= 685 l s -1. Mit Formel 2-9 erhalten wir

$t_2=\frac{V}{S_{Turbopumpe}} \cdot \mbox{ln} \frac{p_1}{p_2} =2,0 s$

Desorption von der Behälteroberfläche

An den Innenflächen des Rezipienten werden Gasmoleküle (vorwiegend Wasser) adsorbiert, die unter Vakuum allmählich wieder verdampfen. Die Desorptionsraten von Metalloberflächen nehmen mit $t^-1$ ab. Die Zeitkonstante $t_0$ betragt etwa eine Stunde.

Mit Formel 1-32 aus Kapitel 1

$Q_{des}=q_{des} \cdot A \cdot \frac{t_0}{t_3}$

berechnen wir die Zeit zum Erreichen des Basisdrucks

$p_{b3}=1,0 \cdot 10^-6 Pa$

$t_3=\frac{q_{des,M} \cdot A \cdot t_0}{S \cdot p_{b3}}=2,67 \cdot 10^6 s=741 h$

Die resultierende Zeit von 741 Stunden ist zu lang. Sie muss durch Ausheizen verkürzt werden. Die Ausheiztemperatur wird so gewählt, dass das temperaturempfindlichste unter den eingesetzten Materialien noch nicht angegriffen wird. In unserem Beispiel wird die Temperatur durch FPM-Dichtungen begrenzt, die eine Temperatur von 370 K noch gut vertragen. Damit steigt die Desorptionsgeschwindigkeit theoretisch um mehr als einen Faktor 1.000 an [22]. Praktisch wird die Ausheiztemperatur auf einige Stunden verkürzt.

Hohe Desorptionsraten können auch durch Ausglühen des Behälters unter Vakuum oder durch bestimmte Oberflächenbehandlungen (polieren, beizen) gesenkt werden.

Da viele Einflüsse der Vorbehandlung eine Rolle spielen, ist eine genaue Vorhersage des Druckverlaufs über die Zeit nicht möglich. Bei Ausheiztemperaturen um 150 °C genügt es jedoch, die Heizung nach Erreichen eines Drucks auszuschalten, der um einen Faktor 100 über dem gewünschten Basisdruck liegt. Damit wird der gewünschte Druck $p_{b3}$ nach Erkalten des Rezipienten erreicht werden.

Desorption der Dichtungen

Bei Betrieb unter 10-6 hPa sind die Ausgasraten von Kunststoffen von Bedeutung. Die Oberflächen der Dichtungen sind zwar verhältnismäßig klein, jedoch nimmt die Desorption nur mit dem Faktor

$\frac{t_0}{\sqrt{t_4}}$

nach Formel 1-33 aus Kapitel 1 ab.

Der Grund dafür ist, dass die austretenden Gase nicht nur an der Oberfläche gebunden sind, sondern auch aus dem Inneren der Dichtung heraus diffundieren müssen. Bei längeren Pumpzeiten kann deshalb die Desorption von Kunststoffen die Desorption der Metalloberflächen dominieren. Die Ausgasrate von Kunststoffoberflächen wird berechnet nach Formel 1-33 aus Kapitel 1:

$Q_{des,K}=q_{des,K} \cdot A_d \cdot \frac{t_0}{\sqrt{t_4}}$

Wir setzen $Q_{des,K} = S \cdot p_{des,K}$ und erhalten für

$p_{b4}$=10-8hPa: $t_4$=459 ⋅ 106 s = 1277 h.

Hierbei ist $t_0$ = 3600 s gesetzt und der zugehörige Wert $q_{des,K}$ aus dem Diagramm [23] für FPM abgelesen. Man sieht, dass der Beitrag der Desorption der Dichtung im kalten Zustand zur Auspumpzeit in ähnlicher Größen-ordnung liegt, wie derjenige der Metalloberfläche.

Da die Diffusion der im Inneren der Dichtung gelösten Gase das Zeitverhalten des Desorptionsgasstroms bestimmt, hat die Temperaturabhängigkeit des Diffusionskoeffizienten $D$ einen entscheidenden Einfluss auf die Pumpzeit:

\[ D=D_0 \cdot \mbox{exp} \left(-\frac{E_{dif}}{R \cdot T} \right) \]

Formel 2-14: Diffusionskoeffizient (T)

Mit steigender Temperatur steigt auch der Diffusions-koeffizient an, allerdings nicht so stark wie die Desorptionsrate der Metalloberfläche. Wir sehen also, dass Elastomerdichtungen durch ihre Desorptionsraten durchaus begrenzend auf den Basisdruck wirken können und deshalb zur UHV-Erzeugung ungeeignet sind.

Leckrate und Permeationsrate

Der Gasfluss, der durch Undichtigkeiten ins Vakuumsystem einströmt, ist konstant und führt bei einem gegebenen Saugvermögen zu einem Druck:

$p_{Leck}=\frac{Q_{Leck}}{S}$

Eine Anlage gilt als hinreichend dicht, wenn dieser Druck kleiner als 10 % des Arbeitsdrucks ist. Leckraten von 10-9 Pa m3 s-1 sind in der Regel erreichbar und auch für diese Anlage gefordert. Daraus ergibt sich ein Druckanteil aus der Leckrate von $p_{Leck}$ = 1,46 · 10-11 hPa. Dieser Wert ist nicht störend und kann vernachlässigt werden.

Permeationsraten durch Metallwände beeinflussen den in diesem Beispiel geforderten Enddruck nicht, jedoch kann die Diffusion durch Elastomerdichtungen auch im gewählten Beispiel begrenzend auf den Basisdruck wirken.

Zusammenfassung

Drücke bis zu 10-7 hPa lassen sich in sauberen Behältern in etwa einem Tag ohne zusätzliche Maßnahmen erreichen.

Sollen Drücke bis 10-4 hPa erreicht werden, so addieren sich die Auspumpzeiten von Vorpumpe und Turbopumpe. Im oben aufgeführten Fall sind dies etwa 200 s. Bei Drücken unterhalb von 10-6 hPa ist ein hohes Saugvermögen der Turbomolekularpumpe erforderlich, um besonders das von den Metallwänden desorbierende Wasser abzupumpen.

Bei Drücken unter 10-8 hPa sollte man nur Metalldichtungen verwenden, um die hohen Desorptionsraten von Elastomerdichtungen zu umgehen.

Leck- und Permeationsraten können bei Drücken bis 10-10 hPa in Metallbehältern ohne größeren Aufwand genügend klein gehalten werden.